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ID:18782
Type:U/Judgements
Cite:BGH Karlsruhe, Urteil from 07/13/1994, Ref. IV ZR 107/93, WM 1994, 1716 = NJW 1994, 2693
Area:VU/Berufsunfähigkeits-, Unfallversicherung, private Krankenversicherung (inkl. Zusatzversicherungen)
Keywords:Zehn-Jahres-Verträge; Vertragslaufzeit; Benachteiligung,unangemessene
Countries/Regions:04EUDE/Germany
Reference:IV ZR 107/93
Court:BGH Karlsruhe
State:Urteil
Date of judgment:07/13/1994
Found at:WM 1994, 1716 = NJW 1994, 2693
Norm:AGBG § 13 ; AGBG § 8 ; AGBG § 9
Basic principle:1. Auch wenn der Verwender eine Bestimmung seiner AGB in neu abzuschließende Verträge nicht mehr einbezieht, kann mit der Verbandsklage nach § 13 AGBG verlangt werden, daß sich der Verwender bei der Abwicklung bereits geschlossener Verträge auf diese Bestimmung nicht mehr beruft.
2. § 8 AGBG hindert nicht die gerichtliche Kontrolle von Laufzeitbestimmungen in AGB bei Verträgen über Unfallversicherungen.
3. Die formularmäßige Bestimmung über eine zehnjährige Laufzeit eines Unfallversicherungsvertrages verstößt gegen § 9 I AGBG und ist deshalb unwirksam.
Fulltext:Der Kl. ist ein rechtsfähiger Verein, zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben die Wahrnehmung und Förderung der Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung zählen. Die Bekl. betreibt ein Versicherungsunternehmen, das u. a. Versicherungen wegen Unfalls mit Invaliditätsvorsorge anbietet. Für das Zustandekommen solcher Versicherungen verwendete sie in der Zeit vom 1. 4. 1977 bis zur Neuregelung des § 8 III VVG am 1. 1. 1991 ein vorgedrucktes Antragsformular, in dem es u. a. heißt:
"Vertragsbeginn (mittags 12.00 Uhr) . ... Vertragsende (mittags 12.00 Uhr) . ... Dauer zehn Jahre. Der Vertrag wird nach Ablauf jeweils um ein Jahr verlängert, wenn nicht spätestens drei Monate vor Ablauf dem anderen Vertragspartner eine schriftliche Kündigung zugegangen ist."
Mit Schreiben vom 13. 9. 1991 beanstandete der Kl. den Passus über die Vertragsdauer und forderte die Bekl. auf, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Die Bekl. verweigerte dies. Der Kl. ist der Auffassung, die von ihm beanstandete Klausel stelle eine AGB dar, die gegen § 9 AGBG verstoße. Der Kl. hat beantragt, die Bekl. zu verurteilen, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 500000 DM oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen, sich in bezug auf Unfallversicherungen, die zwischen dem 1. 4. 1977 und dem 31. 12. 1990 abgeschlossen worden sind, auf die genannte Klausel zu berufen, sofern dies nicht gegenüber einem Kaufmann im Rahmen seines Handelsgewerbes geschieht.
Das LG hatte dem Antrag stattgegeben. Die Berufung blieb erfolglos. Die - zugelassene - Revision der Bekl. hatte im Ergebnis keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
1. Die Klage scheitert nicht daran, daß der Kl. nicht die Unterlassung der beanstandeten Klausel beim künftigen Abschluß neuer Verträge verlangt, sondern allein erreichen möchte, daß es der Bekl. untersagt wird, sich bei den bestehenden Verträgen, den sog. Altverträgen, auf die Klausel zu berufen. Der Kl. kann auch einen solchen Unterlassungsanspruch im Wege der Verbandsklage nach den §§ 13 ff. AGBG geltend machen.
In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, daß mit der Verbandsklage, die auf die Unterlassung künftiger Verwendung einer gegen § 9 AGBG verstoßenden Klausel beim Vertragsschluß gerichtet ist, der Verwender gleichzeitig darauf in Anspruch genommen werden kann, es zu unterlassen, sich bei der Abwicklung bereits geschlossener Verträge auf die Klausel zu berufen (BGH, NJW 1981, 1511 = LM § 13 AGBG Nr. 2; BGHZ 81, 222 (228) = NJW 1981, 2412 = LM § 13 AGBG Nr. 3; NJW-RR 1988, 819). Dieser Rechtsprechung ist die Literatur im wesentlichen, wenn auch mit unterschiedlicher Begründung, gefolgt (vgl. Bunte, BB 1981, 1793; Löwe, BB 1988, 1832; Soergel/Stein, BGB, 12. Aufl., § 13 AGBG Rdnr. 10; Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 7. Aufl., § 13 Rdnr. 27; Palandt/Heinrichs, BGB, 53. Aufl., § 13 AGBG Rdnr. 6; differenzierend Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, 3. Aufl., § 13 Rdnrn. 66 f.; krit. Gerlach, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 13 AGBG Rdnr. 42, der aber meint, diese Rechtsprechung liege in der rechtspolitischen Gesamtrichtung des AGB-Gesetzes; a. A. ohne nähere Begründung Erman/Werner, BGB, 9. Aufl., § 13 Rdnr. 31). Wird danach im Verfahren nach §§ 13 ff. AGBG nicht nur geprüft, ob die Einbeziehung der Klausel in einen Vertrag eine Gefahr für den Rechtsverkehr darstellt, sondern auch, ob die nach Vertragsschluß erkannte Gefahr zu beseitigen ist, kann es für die Frage der Gefahrenbeseitigung nicht darauf ankommen, ob der Verwender der AGB inzwischen davon abgesehen hat, die beanstandete Klausel in Neuverträge einzubeziehen. Erweist sich ein Unterlassungsverlangen, die Klausel beim Vertragsschluß zu verwenden, als entbehrlich, weil diese so nicht mehr verwandt wird, kann im Verbandsprozeß auch isoliert geprüft werden, ob dem Verwender zu untersagen ist, sich bei der Abwicklung bestehender Verträge auf die Klausel zu berufen (ebenso OLG Frankfurt a. M., NJW 1989, 2264 m. zust. Anm. Löwe, EWiR 1989, 841; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1991, 625 m. zust. Anm. Vortmann, EWiR 1991, 421).
Dem steht der Wortlaut des § 13 AGBG nicht entgegen. Nach ihm kann auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer in AGB Bestimmungen "verwendet", die nach §§ 9 bis 11 AGBG unwirksam sind. Die Vorschrift unterscheidet nicht zwischen Erst- und Weiterverwendung. Das Verwenden einer Bestimmung endet nicht mit ihrem Einbezug in den Vertrag. Macht der Versicherer dadurch von einer Klausel Gebrauch, daß er sich auf sie als Bestandteil des Vertrages beruft und Rechte für sich aus ihr herleitet, verwendet er sie weiter (vgl. auch BGHZ 116, 1 (6) = NJW 1992, 179 = LM H. 2/1992 § 9 (Bl) AGBG Nr. 38). Auch der Schutzzweck des § 13 AGBG gebietet, in das Verfahren der Verbandsklage die Kontrolle der Klauseln einzubeziehen, die bereits in den Vertrag aufgenommen wurden, und damit die Gefahr bewirken, daß sich der Verwender zum Nachteil des Verbrauchers auf sie beruft. Das Verfahren nach §§ 13 ff. AGBG verfolgt den Zweck, den Rechtsverkehr von sachlich unangemessenen Klauseln freizuhalten. Insb. soll die den Verbänden eingeräumte Klagebefugnis verhindern, daß sich eine rechtsunkundige Vertragspartei, wenn ihr von dem Verwender eine nach §§ 9 ff. AGBG unwirksame Klausel entgegengehalten wird, von vornherein von einer Geltendmachung und Durchsetzung ihrer Rechte abhalten läßt (BGH, NJW 1981, 1511 = LM § 13 AGBG Nr. 2 (unter II 2c aa) m. w. Nachw.). Dieser Zweck würde aber nur unvollkommen erreicht, wenn es dem Verwender gestattet wäre, sich auf eine Klausel zu berufen, deren Unwirksamkeit im Verbandsprozeß nur deshalb nicht mehr festgestellt werden könnte, weil der Verwender sie bei neuen Vertragsschlüssen nicht mehr präsentiert. Es hinge damit weitgehend vom Zufall ab, ob der Vertragspartner es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommen läßt und in diesem Individualrechtsstreit zwischen Verwender und Kunden das Gericht die Unwirksamkeit der Klausel feststellt (vgl. BGH, NJW 1981, 1511 = LM § 13 AGBG Nr. 2). Das mit der Verwendung einer gegen §§ 9 bis 11 AGBG verstoßenden Klausel verbundene Risiko trägt der Verwender. Er trägt es auch, wenn die Klausel zwar zunächst keinen Bedenken begegnete, er sie aber in Zeiten weiterverwendet, in denen sich die Rechtsauffassungen zum Verbraucherschutz gewandelt haben. Darin liegt kein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip, weil in diesem Fall keine gesicherte Rechtsposition erlangt ist. Ein Schutz des Vertrauens darauf, daß eine Klausel der AGB-Kontrolle standhalten wird, besteht im Verbandsprozeß ebensowenig wie im Individualverfahren.
2. Die Revision trägt vor, für den Teil der Verträge, die vor dem 24. 6. 1983 abgeschlossen worden seien, bestehe die für den Unterlassungsanspruch notwendige Voraussetzung einer Wiederholungsgefahr nicht. Am Schluß der mündlichen Verhandlung vor dem BerGer. am 23. 3. 1993 sei die Zehn-Jahres-Klausel für diesen Teil der Verträge wegen Zeitablaufs nicht mehr von Bedeutung gewesen. Dieser Angriff hat keinen Erfolg. Vorprozessual hatte sich die Bekl. generell geweigert, die vom Kl. verlangte Unterlassungserklärung abzugeben. Überdies hatte sie auch im Rechtsstreit uneingeschränkt die Wirksamkeit vertreten, so daß zunächst von einer Wiederholungsgefahr auszugehen war (BGHZ 116, 1 (6) = NJW 1992, 179 = LM H. 2/1992 § 9 (Bl)

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AGBG Nr. 38). Diese ist auch nicht wegen Zeitablaufs der Klausel denknotwendig ausgeschlossen. So ist es möglich, daß über Kündigungen, die Versicherungsnehmer während der Zehn-Jahres-Frist ausgesprochen haben, noch nicht entschieden ist und die Bekl. sich für die Unwirksamkeit dieser Kündigung auf die Zehn-Jahres-Klausel noch beruft. Auch können die Vertragsparteien vereinbart haben - etwa wegen Zahlungsschwierigkeiten des Versicherungsnehmers -, den Vertrag für längere Zeit auszusetzen mit dem Ergebnis, daß sich die Laufzeit über die zunächst vorgesehenen zehn Jahre hinaus verlängert.
3. Die von der Bekl. verwendete Klausel ist eine Bestimmung ihrer AGB i. S. des § 1 I AGBG. Der vorformulierte Antrag auf Abschluß des Versicherungsvertrages, der die Klausel enthält, ist zum Abschluß einer Vielzahl von Verträgen bestimmt. Zu Recht hat das BerGer. den Vortrag der Bekl. unberücksichtigt gelassen, ihre Versicherungsnehmer seien vor Unterzeichnung des Antragsformulars auf die Möglichkeit unterschiedlicher Laufzeiten hingewiesen und es sei sodann eine individuelle Laufzeit vereinbart worden. Dieser Vortrag nimmt der Klausel des Antragsformulars nicht den Charakter einer AGB. Das Antragsformular enthält keinen Hinweis darauf, daß neben der vorgedruckten "Dauer zehn Jahre" individuell auch eine andere, kürzere Vertragsdauer ausgehandelt werden kann. Insb. ergibt sich aus dem Vordruck nicht, daß es sich um eine Höchstdauer handeln soll, wie die Bekl. vorgetragen hat. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer, auf dessen Verständnis es bei der Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen ankommt (st. Rspr. des Senats, vgl. NJW 1993, 2369 = LM H. 11/1993 § 59 (Bk) AGBG Nr. 20 = VersR 1993, 957 (unter III 1b) m. w. Nachw.), kann dem Wortlaut der Klausel auch unter Berücksichtigung, daß ein Freiraum für die Eintragung der Daten gelassen wurde, nicht entnehmen, eine andere Vertragsdauer als die von zehn Jahren sei möglich. Nach der formularmäßigen Vorgabe "Dauer zehn Jahre" versteht ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer den für die konkreten Daten vorgesehenen Freiraum nur so, daß als Daten Beginn und Ende der zehnjährigen Vertragsdauer eingetragen werden sollen.
Wenn der Versicherungsnehmer bei den Vertragsverhandlungen darauf hingewiesen worden sein sollte, daß (entgegen der vorgedruckten Angabe im Antragsformular) auch eine kürzere Vertragsdauer möglich sei, so handelte es sich um Merkmale der konkreten Fallgestaltung, die nicht Bestandteil der AGB sind. Sie müssen bei der vom Einzelfall losgelösten abstrakten Wirksamkeitsprüfung im Unterlassungsverfahren außer Betracht bleiben (BGHZ 116, 1 (4 f.) = NJW 1992, 179 = LM H. 2/1992 § 9 (Bl) AGBG Nr. 38 m. w. Nachw.). Damit ist der Bekl. nicht der Einwand abgeschnitten, im Einzelfall die Laufzeit des Vertrages individuell vereinbart zu haben. Der Verwender hat die Möglichkeit, in etwaigen Folgeverfahren, in denen über das Vorliegen konkreter Zuwiderhandlung und ihre rechtlichen Konsequenzen zu entscheiden ist (vgl. § 890 ZPO, § 21 AGBG), darzulegen und zu beweisen, daß er die beanstandete AGB-Klausel nicht isoliert verwendet, sondern den Versichungsnehmer zusätzlich darüber unterrichtet hat, daß er auch mit einer geringeren Vertragsdauer abschließen kann (vgl. BGHZ 116 (5 f.) = NJW 1992, 179 = LM H. 2/1992 § 9 (Bl) AGBG Nr. 38).
4. Die Revision vertritt die Auffassung, die formularmäßige Laufzeitregelung sei der Inhaltskontrolle gem. § 8 AGBG entzogen.
Bestimmungen in AGB über den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistungen seien von der Inhaltskontrolle ausgenommen. Dazu gehöre auch die Laufzeit eines Unfallversicherungsvertrages. Sie sei unentbehrlicher Bestandteil der vertragscharakteristischen Hauptleistungspflichten. Auch die Neufassung des § 8 III VVG bringe den preis- und hauptleistungsbestimmenden Charakter der Vertragslaufzeit in Versicherungsverträgen zum Ausdruck. Die Vertragsdauer stehe in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Höhe der Prämie.
Der Senat verkennt nicht, daß die Laufzeit eines Versicherungsvertrages Auswirkungen auf die Kalkulation der Prämienhöhe haben kann. Dennoch gehört die Laufzeit eines Unfallversicherungsvertrages nicht zu dem Kernbereich, der nach § 8 AGBG keiner Kontrolle nach §§ 9 bis 11 AGBG unterliegt. Kontrollfrei bleiben bloße Leistungsbeschreibungen. Solche Beschreibungen legen Art, Umfang und Güte der geschuldeten Leistungen fest, lassen aber die für die Leistungen geltenden gesetzlichen Vorschriften unberührt. Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren, sind hingegen inhaltlich zu kontrollieren. Damit bleibt für die der Überprüfung entzogene Leistungsbeschreibung nur der enge Bereich der Leistungsbezeichnungen, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann (Senat, NJW-RR 1993, 1049 = LM H. 11/1993 § 9 (Bk) AGBG Nr. 19 = VersR 1993, 830 (unter I 2); NJW 1993, 2369 = LM H. 11/1993 § 9 (Bk) AGBG Nr. 20 (unter II)). Zu diesem engen Leistungsbereich gehört nicht die Laufzeit eines Unfallversicherungsvertrages (a. A. wohl Wolf/Horn/Lindacher, § 23 Rdnr. 464). Sie gestaltet lediglich das Hauptleistungsversprechen näher aus. Auch ohne die Festlegung einer zehnjährigen Vertragsdauer könnte der wesentliche Vertragsinhalt, nämlich die vereinbarte Prämie und der dafür gewährte Versicherungsschutz, bestimmt werden. Durch den Einfluß auf die Prämienkalkulation wird die vorformulierte Regelung über die Vertragsdauer selbst nicht zur bloßen Leistungsbeschreibung. Der Senat hat schon in seiner Stellungnahme im Verfahren des BVerfG (BVerfGE 70, 115 (120 f.) = NJW 1986, 243) die Auffassung vertreten, Klauseln über die Vertragsdauer von Versicherungsverträgen seien nach § 9 AGBG kontrollierbar.
5. Die Klausel über eine zehnjährige Dauer des Unfallversicherungsvertrages hält einer Kontrolle nach § 9 AGBG nicht stand.
a) Allerdings greift § 9 II Nr. 12 AGBG als Kontrollmaßstab nicht ein. Danach ist eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners im Zweifel anzunehmen, wenn die Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Eine gesetzliche Regelung, die zur Beurteilung der Dauer von Versicherungsverträgen unmittelbar herangezogen werden könnte, gibt es nicht. § 11 Nr. 12a AGBG kommt als gesetzliches Leitbild nicht in Betracht (a. A. OLG Düsseldorf, NJW-RR 1990, 1311 = VersR 1991, 989), weil aus seinem Geltungsbereich Versicherungsverträge durch § 23 II Nr. 6 AGBG ausdrücklich ausgeschlossen sind. Auch § 8 II 3 VVG, wonach die Parteien auf das Kündigungsrecht bis zur Dauer von zwei Jahren verzichten können, kann als gesetzliches Leitbild nicht herangezogen werden. Wie sich aus § 8 II 1 VVG ergibt, bezieht sich die gesetzliche Regelung auf Versicherungsverhältnisse, die auf unbestimmte Zeit eingegangen sind. Für die Frage, welche Vertragsdauer den Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligt, läßt sich aus dieser gesetzlichen Regelung nichts herleiten (vgl. Wille, VersR 1992, 129 (138); Flore, ZfS 1993, 109 f.; a. A. OLG Düsseldorf, VersR 1991, 989).
b) Die Unwirksamkeit der Zehn-Jahres-Bestimmung ergibt sich aber aus der Generalklausel des § 9 I AGBG. Die Bestimmung benachteiligt den Versicherungsnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Das ergibt sich aus einer Abwägung der Interessen der Vertragsparteien.
aa) Eine solche Abwägung ist nicht schon deshalb entbehrlich, weil der mit dem Gesetz zur Änderung versicherungspflichtiger Vorschriften vom 17. 12. 1990 (BGBl I, 2864) eingeführte § 8 III VVG eine Vertragsdauer von zehn Jahren zuläßt und damit aufgrund der Wertung des Gesetzgebers die Wirksamkeit einer Zehn-Jahres-Klausel feststünde. Diese gesetzliche Regelung verlangt, daß dem Versicherungsnehmer auf Verträge mit einer Dauer von fünf und mehr Jahren ein Prämiennachlaß eingeräumt wird, dessen Vomhundertsatz mindestens der Dauer der Laufzeit entspricht. Demgegenüber kann der Versicherungsnehmer dem vor dem 1. 1. 1991 verwendeten Antragsformular, das die Zehn-Jahres-Klausel enthält, nicht entnehmen, einen irgendwie gearteten Prämienvorteil zu erhalten, wenn er den Vertrag mit einer Laufzeit von zehn Jahren schließt. Vor allem aber setzt § 8 III VVG in dieser Fassung voraus, daß dem Versicherungsnehmer vor Abschluß des Vertrages auch Verträge für die Dauer von einem Jahr, drei, fünf und zehn Jahren schriftlich angeboten wurden. Dadurch wird dem Versicherungsnehmer vor Augen geführt, daß er eine Wahl zwischen Verträgen unterschiedlicher Vertragsdauer hat. Dem Versicherungsnehmer wird damit die Möglichkeit gegeben, bewußt eine Vertragsdauer zu wählen, die

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seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen - auch soweit diese für ihn vorhersehbar sind - entspricht. Anders liegt es jedoch, wenn dem Versicherungsnehmer nur die Wahl bleibt, einen Vertrag auf zehn Jahre abzuschließen oder auf eine Versicherung ganz zu verzichten. Aus der Regelung des § 8 III VVG läßt sich deshalb nicht der Schluß ziehen, die vor dem 1. 1. 1991 verwendete Zehn-Jahres-Klausel widerspreche nicht den Geboten von Treu und Glauben.
bb) Grundsätzlich ist das Interesse des Versicherers als berechtigt anzuerkennen, die Verträge aus Wettbewerbsgründen so zu gestalten, daß er günstige Prämien anbieten kann. Diesem Ziel kann auch der Abschluß von Verträgen mit langer Laufzeit dienen. Diese kann Verwaltungs- und Akquisitionskosten niedrig halten. Gleichzeitig liegt eine kostengünstige Kalkulation auch im kollektiven Interesse der Versichertengemeinschaft, so daß sich niedrige Kosten auch zugunsten der Versicherungsnehmer auswirken, wenn der Versicherer bereit ist, Kostenvorteile an den Versicherungsnehmer weiterzugeben. Diesem kollektiven Interesse kommt aber dann kein besonderes Gewicht zu (vgl. auch BGHZ 83, 169 (180) = NJW 1982, 1391 = LM AVB f. Neuwertvers. d. Hausrats Nr. 3), wenn die AGB einzelne Versicherungsnehmer in nicht zu vernachlässigender Zahl erheblich belasten. Das ist mit der Zehn-Jahres-Klausel der Fall.
cc) Eine erhebliche Belastung des Versicherungsnehmers liegt schon in der Einschränkung der Dispositionsfreiheit bei Abschluß des Vertrages. Bei der Ausgestaltung des Antragsformulars muß der Versicherungsnehmer davon ausgehen, keine andere Wahl zu haben, als das Vertragsverhältnis über eine Laufzeit von zehn Jahren einzugehen oder das Risiko nicht versichern zu können. Das Antragsformular sieht keine kürzeren Laufzeiten - auch nicht gegen Prämienaufschläge - vor. Damit ist dem Versicherungsnehmer jede Möglichkeit genommen, die Vertragsdauer an die schon im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gegebenen oder vorhersehbaren Umstände anzupassen. Dem Ast. wird auch nicht deutlich, durch einen auf zehn Jahre geschlossenen Vertrag irgendwelche Vorteile zu haben. Prämiennachlässe für diese Vertragsdauer werden ihm nach dem Wortlaut des Formulars nicht eingeräumt. Noch schwerer wiegt, daß der Versicherungsnehmer auch nach Vertragsschluß keine Möglichkeit hat, sich marktgerecht zu verhalten und eine ihm gebotene Möglichkeit, zu günstigeren Bedingungen das Risiko anderwärts zu versichern, für eine Dauer von zehn Jahren nicht nutzen kann. Die damit möglicherweise verbundene Einschränkung des Wettbewerbs unter den Versicherern kann sich überdies zum Nachteil aller Verbraucher auswirken.
Auch kann es während einer so langen Vertragsdauer unvorhergesehene Umstände geben, die es einem Versicherungsnehmer geboten erscheinen lassen, mehrere Versicherungen verschiedener Art bei einem Versicherer zu bündeln. Diesem Bedürfnis kann er nicht nachgeben. Des weiteren ist er in der Dispositionsfreiheit insofern eingeschränkt, als er das Versicherungsverhältnis nicht beenden kann, auch wenn er zur Auffassung gelangt, daß der Service oder die Regulierungspraxis des Versicherers im Versicherungsfall nicht seinen Vorstellungen entspricht. Solche Umstände, die einen Versicherungsnehmer veranlassen können, den Versicherer zu wechseln, muß der Partner eines auf zehn Jahre geschlossenen Vertrages für diese Dauer hinnehmen, ohne auf sie angemessen reagieren zu können.
Insb. aber kann es für den Versicherungsnehmer außerordentlich belastend sein, wenn er die Versicherung nicht an unvorhergesehene Veränderungen wirtschaftlicher Umstände anpassen und ggf. ganz darauf verzichten kann, das Risiko weiter zu versichern. Bei einer Vertragsdauer von zehn Jahren ist es für viele Versicherungsnehmer nicht vorherzusehen, ob sie etwa arbeitslos werden, eine berufliche Selbständigkeit verlieren, wirtschaftliche Scheidungsfolgen hinnehmen müssen oder in Vermögensverfall geraten. In solchen Fällen muß es dem Versicherungsnehmer überlassen sein zu beurteilen, ob er den Versicherungsschutz noch benötigt oder für sinnvoll und wirtschaftlich tragbar hält. Die Belastung durch einen auf zehn Jahre unkündbaren Versicherungsvertrag ist nicht schon deshalb zu verneinen, weil die Prämien vielleicht gering sind. Bei länger andauernden wirtschaftlichen Schwierigkeiten können auch geringe Prämien den Schuldner relativ beschweren. Nicht selten unterhalten Versicherungsnehmer auch mehrere Versicherungsverträge mit einer Laufzeit von zehn Jahren, deren Prämiensumme dann eine besondere finanzielle Last darstellt. Diese wird dem wirtschaftlich schwachen Versicherungsnehmer auch durch das Sozialhilferecht nicht genommen. Zu dem in § 12 BSHG beschriebenen Bedarf gehören keine Beiträge zu privaten Versicherungen (Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG, Stand: Oktober 1992, § 12 Rdnr. 24). § 76 II Nr. 3 BSHG sieht lediglich vor, daß angemessene Beträge zu privaten Versicherungen vom anrechenbaren Einkommen abzuziehen sind. Es geht auch nicht an, die lange Dauer einer Bindung an Verträge privater Versicherungen mit Leistungen der Sozialhilfe zu rechtfertigen. Im allgemeinen kann sich der Versicherungsnehmer von der ihn in wirtschaftlich schweren Zeiten drückenden Last auch nicht durch eine Kündigung befreien, die auf Wegfall der Geschäftsgrundlage oder auf einen wichtigen Grund gestützt ist. Sie kann nicht auf Umstände gestützt werden, die dem Gefahrenbereich des Kündigenden entstammen (BGHZ 74, 370 = NJW 1979, 1818 = LM § 242 (Bb) BGB Nr. 95; Senat, NJW 1991, 1828 = LM H. 2/1992 § 13 AGBG Nr. 27 (unter II 2a)).
Auch persönliche Verhältnisse des Versicherungsnehmers können sich im Laufe von zehn Jahren unvorhersehbar in einer Weise ändern, daß sie eine Anpassung an den Versicherungsvertrag oder eine Lösung von diesem erforderlich machen. Das Unfallrisiko kann sich in einem Maße verringern, daß eine Versicherung dieses Risikos entbehrlich erscheint. Das Interesse an einer Unfallversicherung kann auch dann wegfallen, wenn der Versicherungsnehmer zu einem Arbeitgeber wechselt, der dieses Risiko mit einer Gruppenversicherung abdeckt. Ebenso entfällt der Grund einer Unfallversicherung, wenn sie im Hinblick auf eine besondere Tätigkeit abgeschlossen wurde und der Versicherungsnehmer diese aufgibt. Hat der Versicherungsnehmer die Unfallversicherung zugunsten eines Dritten genommen, zu dem sich das persönliche Verhältnis im Laufe der Vertragsdauer von zehn Jahre erheblich verschlechtert, wird der Versicherungsnehmer den Versicherungsschutz zugunsten des Dritten nicht mehr fortsetzen wollen. In all diesen Fällen ist der Versicherungsnehmer jedoch gezwungen, trotz entgegenstehender Interessenlage das Vertragsverhältnis bis zum Ende der Laufzeit von zehn Jahren fortzusetzen.
dd) Diese schweren Nachteile des Versicherungsnehmers werden durch die geringen Vorteile eines Vertrags mit zehnjähriger Laufzeit, daß sich etwa die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und - von Ausnahmen abgesehen - die Prämienhöhe nicht zu Lasten des Versicherungsnehmers verändern können, nicht annähernd aufgehoben. Die Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile des Versicherungsnehmers einerseits und der berechtigten Interessen des Versicherers an Verträgen mit einer zehnjährigen Laufzeit andererseits ergibt ein solches Ungleichgewicht zu Lasten des Versicherungsnehmers, daß die Zehn-Jahres-Klausel das Gleichgewicht der Rechte und Pflichten in einem Maße stört, das mit den Geboten von Treu und Glauben nicht mehr vereinbar ist. Der Bekl. ist deshalb untersagt, sich im Falle einer Kündigung des Vertrages durch den Versicherungsnehmer auf diese Klausel zu berufen. Dies entspricht auch dem seit dem 1. 1. 1991 in Kraft getretenen § 8 III VVG. Diese gesetzliche Regelung läßt zwar Zehn-Jahres-Verträge zu, jedoch nur unter der Voraussetzung, daß ein Prämienrabatt gewährt wird und Verträge mit kürzeren Laufzeiten angeboten werden. Auch wenn § 8 III VVG keine gesetzliche Leitlinie i. S. von § 9 II Nr. 1 AGBG darstellt, ist der Vorschrift doch zu entnehmen, daß ein Versicherungsvertrag mit einer Laufzeit von zehn Jahren ohne einen ausgewiesenen Prämienvorteil und ohne Wahl kürzerer Laufzeiten unerwünscht ist. Erst recht ist diese Annahme gerechtfertigt durch die bevorstehende Neuregelung des § 8 VVG, die mit der Zustimmung des Bundesrates vom 8. 7. 1994 beschlossen wurde und die eine Vertragsdauer von längstens fünf Jahren vorsieht.
Die Feststellung, der Versicherer dürfe sich bei einer Kündigung nicht auf die Zehn-Jahres-Klausel berufen, durchbricht nicht den Grundsatz, daß Verträge einzuhalten sind. Dieser Grundsatz findet seine Grenzen an den Geboten von Treu und Glauben, die in § 9 I AGBG ihren Niederschlag gefunden haben. Widerspricht eine Klausel - wie hier - diesen Geboten, so ist sie unwirksam und kein Bestandteil des grundsätzlich einzuhaltenden Vertrages geworden.
6. Die Klausel kann nicht für einen Teil der Laufzeit aufrechterhalten werden. Sie ist unteilbar. Sie enthält nicht mehrere inhaltlich von einander trennbare Regelungen. Eine teilweise Aufrechterhaltung bedeutete eine geltungserhaltende Reduktion, die der BGH seit Inkrafttreten des AGB-Gesetzes am 1. 4. 1977 in ständiger Rechtsprechung abgelehnt hat (vgl. BGHZ 111, 278 f. =

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NJW 1990, 2388 = LM AVB f. Neuwertvers. d. Hausrats Nr. 13).
Vertragsschluss:00/00/0000
Language(s):de/german
Data input:IFF : Institut Für Finanzdienstleistungen
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