Mittellose Bürgen sind ein Thema zwischen Verfassungs- und
Vertragsrecht. Zwischen beiden Rechtsgebieten hat das
Bundesverfassungsgericht eine Brücke gebaut. Manches Zivilgericht
hat diese Brücke gern beschritten, mancher Praktiker hat sie gelobt
oder getadelt, mancher Wissenschaftler hat überlegt, wie man sie
befestigen könne. Für gute Fundamente benötigt man zunächst einige
Tatsachen.
1. Tatsachen
Banken und Sparkassen verlangen häufig, daß der Kreditnehmer auch
eine Bürgschaft oder Mitschulderklärung beibringt, und zwar von
seinem Ehepartner oder seinen Kindern. Zum Teil bemühen sich
Bankangestellte um ein Gespräch mit den künftigen Bürgen, zum Teil
schicken sie ihre Formulare auch einfach dem Kreditnehmer zu, mit
der Bitte, seine Angehörigen unterschreiben zu lassen.
Ehegattenbürgschaften verlangt selbst die bundeseigene Deutsche
Ausgleichsbank bei ihren Existenzgründungsprogrammen. Keine dieser
Banken hat regelmäßig nachgeprüft, ob der Bürge Vermögen oder
Einkommen hat. Die Banken müssen deshalb davon ausgehen, daß der
angehörige Bürge oder Mitschuldner im Ernstfall nicht zahlen kann
und daß er auf Dauer überschuldet ist.
Einige Gerichte halten solche Sicherheiten deshalb für sinnlos und
sittenwidrig. Aus Sicht der Banken zeigen solche Bürgschaften
dagegen, daß die Familie als Wirtschaftsgemeinschaft die spätere
Rückzahlung glaubt und an einem Strang ziehen wird. Manch ein Bürge
wird seinen Konsum einschränken, mitarbeiten und den Kreditnehmer
zur Arbeit motivieren. Es besteht auch immer eine kleine Chance,
daß ein mittelloser Bürge später gut verdient oder etwas erbt. In
der Hand einer Bank, die tausende von Bürgen hat, addieren sich auch
kleine Chancen schnell zu einem sicheren Vorteil.
Der wichtigste Grund aber sind die Vermögensverlagerungen. Sie
dienen keineswegs immer dazu, dem Zugriff der Banken auszuweichen.
Vermögensverlagerungen können auf einem Zugewinnausgleich beruhen,
auf langjährigen Gehaltszahlungen an den mitarbeitenden Ehepartner
und dessen Freistellung von der Mitfinanzierung der Familie. Durch
Vermögensverlagerungen schützen sich viele gegen
Berufshaftungsrisiken oder nutzen steuerliche Vorteile. So kann ein
Unternehmer etwa Vorteile bei der Einkommen- und Gewerbeertragsteuer
erzielen, wenn er das Betriebsgrundstück einem Angehörigen
übereignet und zurückpachtet. Die Bank kann das mit vertretbarem
Aufwand nicht überwachen. Das Anfechtungsgesetz ist hier wegen
seiner kurzen Fristen und subjektiven Voraussetzungen zum Schutz
der Banken unzureichend.
Inwieweit diese Gründe dem Vorwurf der Sittenwidrigkeit vorbeugen,
wird stark vom rechtspolitischen Vorverständnis des Urteilenden
geprägt. M.E. steht der Nutzen einer Bank, die kleine Chancen
sammelt, außer Verhältnis zu dem Schaden des einzelnen Bürgen, der
riskiert, sich zu ruinieren; die Gefahr von Vermögensverschiebungen
hingegen rechtfertigt es, Angehörige in die Pflicht zu nehmen. Diese
Fragen sind aber derart umstritten, daß man den Rechtsfrieden durch
Argumente allein kaum wiederherstellen kann. Ich möchte deshalb
zunächst kurz einen praktischen Weg zum Rechtsfrieden diskutieren.
...
6. Zusammenfassung
Im Fall "für die Akten" hatte der Bürgschaftssenat den Anschein
erweckt, es könne auf die Unerfahrenheit der Bürgin und auf das
Bagatellisieren durch den Sparkassenvertreter nicht ankommen. Die
verfassungsrechtliche Kritik daran hat zu Rechtsunsicherheit im
Bürgschaftsrecht geführt. Ihr kann durch Vertragsklauseln vorgebeugt
werden. Viele Zivilgerichte haben begonnen, unter Formulierungen
wie ungewöhnliche Belastung, mangelndes Eigeninteresse und
strukturell ungleiche Verhandlungsstärke zu subsumieren. Das ist
jedenfalls im Bürgschaftsrecht nicht sinnvoll und wird vom
Bundesverfassungsgericht nicht verlangt. Statt dessen sollte die
Brücke zwischen Verfassungs- und Vertragsrecht auf 4 Pfeilern gebaut
werden: auf Art. 2 Abs. 1 GG, dem Sozialstaatsprinzip, einer
subjektiven Vertragsbewertung und einem Vertrauensschutz für den
anderen Teil. |