I. Materieller und formeller Garantiefall
Werden im Rahmen von Bauaufträgen Erfüllungs- und Anzahlungsgarantien
auf erstes Anfordern gegeben, so lassen sich der materielle un der
formelle Garantiefall unterscheiden. Erfüllungs- und
Anzahlungsgarantien sind Sicherungsgarantien für die Erfüllung von
Zahlungsansprüchen, die der Auftraggeber eines Bauvorhabens
(Garantiebegünstigter) gegen den Auftragnehmer des Bauvorhabens
(Garantiesteller) haben kann. Der Garantie- und Sicherungsfall ist
materiell mit der Entstehung der Zahlungsansprüche des Auftraggebers
des Bauvorhabens gegen den Auftragnehmer verbunden. Die
Erfüllungsgarantie des vom Garantiesteller gewonnenen Garantiegebers
(Garanten) wird ausgelöst, wenn aus dem Bauvertrag der Auftragnehmer
vom Auftraggeber auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung des
Vertrages in Anspruch genommen wird; die Anzahlungsgarantie sichert
den Rückzahlungsanspruch des Auftraggebers mit Blick auf die dem
Auftragnehmer geleisteten Anzahlungen im Falle der Nichterfüllung
der dem Auftragnehmer obliegenden Pflichten. Der materielle
Garantiefall - tatsächliches Entstehen der durch die Garantie
gesicherten Ansprüche durch Nichterfüllung des Bauvertrages durch
den Auftragnehmer - spielt indessen für die Zahlungsverpflichtungen
aus Garantien auf erstes Anfordern keine Rolle. Bei derartigen
Garantien wird die Zahlungsverpflichtung des Garanten nicht durch
die formell ordnungsgemäße Erklärung, der Garantiefall sei
eingetreten, ausgelöst. Matereille Einwendungen gegen die
Garantieforderung können grundsätzlich nicht erhoben werden, sondern
bleiben einem selbständig geltend zu machenden Rückzahlungsanspruch
vorbehalten. Und dieser steht nicht einmal dem Garanten zu, sonderm
dem Garantiesteller und Auftragnehmer des Bauvertrags. Die Garantie
auf erstes Anfordern erfüllt für den Begünstigten damit die Funktion
eines Bardepots.
V. Gesamtergebnis
Der Garant kann aus den von ihm der WH-GUS gesehenen Garantien auf
erstes Anfordern nicht in Anspruch genommen werden, weil die
Anforderungen nicht innerhalb der Garntierfristen formgerecht vom
vermeintlich Begünstigten gelten gemacht worden sind und eine
Heilung des Formmangels nach Ablauf der Garantiefristen aus
Rechtsgründen ausgeschlossen ist.
Im Zuge der Lösung haben sich folgende Grundsätze für das Anfordern
einer Garantie auf erstes Anfordern herausgestellt:
1. Der Garantiefall (Nichterfüllung) muß substantiiert werden, um
den Garanten in seinem und des Garantiestellers Interesse die
Prüfung zu erlauben, daß ein Fall der Nichterfüllung nach den Angaben
des Garantiebegünstigten wenigstens möglich ist (Mißbrauchskontrolle)
2. Die Substantiierung kann nach Ablauf der Garantiefrist nachgeholt
werden, wenn die Anforderung als solche vor Ablauf der Garantiefrist
angebracht worden ist.
3. Die Garantieforderung kann ohne Zustimmung des Garanten auf einen
anderen übertragen werden. Für das Recht der Feststellung des
Eintritts des Garantiefalls gilt das nicht. Dieses bleibt auch im
Falle der Abtretung bei der Person des ursprünglich Berechtigten,
wenn nicht der Grant der Übertragung zugestimmt hat.
4. Die Anforderung muß vor dem in der Grantieurkunde genannten
Begünstigten oder einem Dritten angebracht werden, der mit der
Anbringung seine Berechtigung hierzu nachweist.
5. Legitimationsmängel können nach Ablauf der Garantiefrist nicht
mehr geheilt werden. |