V. Ausblick
Das schon vielfach prognostizierte Szenario, daß beim Einsatz
innovativer Finanzinstrumente falsche Markteinschätzungen oder
Zahlungsausfälle bedeutender Vertragspartner zu krisenhaften
Zuspitzungen im Bankensystem, vielleicht sogar zu Zusammenbrüchen
im "Domino-Stil" führen könnten, ist bislang nicht Realität
geworden. Andererseits hat es, zunächst vor allem im industriellen
Bereich, zum Teil spektakuläre Verluste bei der Nutzung von
Derivaten gegeben. In erster Linie sind hier der Milliardenschaden
der Metallgesellschaft, der mit ihren viel diskutierten
Öltermingeschäften zusammenhängt, die Pleite der Balsam AG, die weit
über einen tatsächlichen Absicherungsbedarf hinaus
Devisenoptionsgeschäfte tätigte, und das verlustträchtige
Swap-Engagement von Procter & Gamble zu nennen. Während die
Fehlspekulation des Orange County Investmentfonds mit Zins-Derivaten
ebenfalls für ein erhebliches Aufsehen sorgte, ging die
Börseninformation, daß der malaysischen Notenbank Negara in den
Jahren 1992/93 durch Eigengeschäfte im Devisenterminhandel Verluste
im Wert von über 10 Milliarden DM entstanden sein sollen, im
Vergleich geradezu unter. Demgegenüber machten durch Termin- und
Optionsgeschäfte verursachte Schieflagen der
Colonia-Versicherungsgruppe, der Hannover Rückversicherung sowie
der Gothaer Versicherungsgruppe wiederum Schlagzeilen und lenkten
ebenso wie das Debakel der britischen Investmentbank Baring Brothers
mit Aktienindex-Derivaten den Blick darauf, daß sich die Risiken
des Derivate-Geschäfts in zunehmendem Maße unmittelbar im
Finanzsektor realisieren.
Bemerkenswert uneinheitlich sind bislang die Analysen
internationaler Banken- und Börsenaufseher zum effektiven Risikograd
geblieben. Die hierzu vorgetragenen Einschätzungen "Derivate sind
ungefährlich" und "was die Kontrolle derivater Finanzinstrumente
anbetrifft, ist es 5 Minuten vor zwölf" stecken das Spektrum der
veröffentlichten Meinungen ab. Ein wesentlicher Grund für diese
Abweichungen dürfte in unterschiedlichen Beurteilungen des Ausmaßes
der Nutzung innovativer Finanzinstrumente zu Absicherungs- oder zu
rein spekulativen Zwecken liegen. Die Sicherungsfunktion von
"Hedging"-Geschäften vermag der provokativ klingenden These "Wer
Derivate nicht nutzt, ist ein Spekulant" durchaus die Begründung
zu liefern, läßt andererseits aber die enormen Preisrisiken, die
das bloße "Trading" in sicht birgt, unberührt.
Bei allen Auffassungsunterschieden hinsichtlich des Risikogrades
ziehen sich bei grundsätzlicher Anerkennung einer kontrollierten
Anwendung von Finanzinnovationen die Forderungen nach bilanzieller
Transparenz und nach einem leistungsfähigen bankeninternen
Risikomanagement zur Flankierung der aufsichtsrechtlichen
Bestimmungen wie ein roter Faden durch die Vielzahl der
Untersuchungen. Um Kettenreaktionen im Sinne eines "Domino-Effekts"
möglichst effektiv vorzubeugen, machen die Analysen auch mit
Nachdruck die zusätzliche Regulierung des Derivategeschäfts von
"Non"- und "Near-Banks" geltend. Bereits Gehör verschafft hat sich
die Forderung, zu weiteren Risikominderung im Derivate-Geschäft
konkursfeste Klauseln anzuerkennen, die sicherstellen sollen, daß
bei Ausfall des Vertragspartners die Beendigung von sämtlichen
zwischen den Kontrahenten schwebenden Geschäften herbeigeführt wird
und eine Verrechnung der nicht realisierten Gewinne und Verluste
aus diesen Geschäften dergestalt erfolgt, daß nur noch eine
Forderung oder Verbindlichkeit als Saldo, auf den sich die
Verlustgefahr dann beschränkt, übrig bleibt ("Netting by close
out").
Vielleicht wird aber auch der Derivatemarkt von sich aus schneller
und zielgerichteter auf die Bedenken der Aufsicht und die
zunehmende öffentliche Skepsis reagieren, als es viele Beobachter
erwarten. Schon bieten die Terminbörsen sogenannte "Flex-Optionen"
an, die es den Marktteilnehmern gestatten, selber die
Kontraktspezifikationen festzusetzen und die somit die Flexibilität
von OTC-Produkten und den Schutz vor dem Adressenausfallrisiko durch
eine zentrale "Clearingstelle" in sich vereinen. Abgesehen von
dieser Motivation für die Fortentwicklung der Finanzinnovationen
kann es als sicher gelten, daß allein die nach wie vor stürmisch
wachsende Konkurrenz auf den globalisierten Märkten, gleichzeitig
aber auch die zwecks Erhöhung der jeweiligen Angebotsvielfalt
zuletzt intensivierten Börsenkooperationen für weitere Generationen
derivativer Finanzinstrumente sorgen werden. Die neunziger Jahre
werden das "Jahrzehnt der Derivate" bleiben. Die Zukunft wird
zeigen, inwieweit dieses auch unter juristischem Aspekt noch Anlaß
zur Nachstellung geben wird. |