1. Die von Habersack vorgelegte Dissertation widmet sich einem bisher
- soweit ersichtlich - vernachlässigten Thema: der Frage, ob sich
ein allgemeines System zum Schutz beeinträchtigter Drittinteressen
entwickeln läßt und wie im Anschluß daran eine Inhaltskontrolle
"zweifelhafter" Verträge vorzunehmen wäre. Anlaß der Untersuchung
bildet die nach herrschender Meinung unbeachtliche Berücksichtigung
von Drittinteressen im Rahmen der §§ 9-11 AGBG, insbesondere des
§ 9 Abs. 1 AGBG. Der unter Verwendung von AGB geschlossene Vertrag
dient dem Autor als Musterfall zur Entwicklung seines Konzepts einer
Beschränkung der Vertragsfreiheit bei beeinträchtigten
Drittinteressen. Im Grunde steht damit die Antwort auf die
Ausgangsfrage des Autors schon fest, daß nämlich entgegen der
einhelligen Auffassung Anliegen Dritter im Rahmen des AGBG, von allem
§ 9 Abs. 1 AGBG zu berücksichtigen sind. Dem Leser schuldet
er nurmehr den Beweis für diese These. Aus Sicht des Autors erscheint
sein Vorgehen aber konsequent, da sich andernfalls seine Untersuchung
teilweise erübrigen würde (vgl. § 1 III.).
Zu begrüßen ist die eingangs herhausgestellte Unterscheidung zwischen
den Außen- und Innenschranken der Privatautonomie anhand derer der
Autor die Entwicklung des jeweiligen Parameters zur Vornahme der
Inhaltskontrolle ausrichten wird. Während erstere die
Vertragsfreiheit beider Seiten beschränken und dabei ein
Machtgleichgewicht voraussetzen, greifen letztere im Fall der von
seiten einer Partei gestörten Vertragsparität ein. Es sollen sowohl
Fälle der Beeinträchtigung der Rechtslage Dritter durch belastende
Reflexwirkungen (sog. Lastwirkungen) als auch die Verletzung bloßer
Affektions- oder Vermögensinteressen erfaßt werden. Demgegenüber
kann das Problem des Vertrags zu Lasten Dritter vernachlässigt werden
(vgl. § 2).
2. Von diesem Ansatz her geht die Untersuchung über die bislang nur
im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB behandelte Einschränkung der
Vertragsfreiheit durch betroffene Drittinteressen hinaus. Als
Grundlage eines allgemeinen Drittschutzes präsentiert der Autor die
Lehre vom Institutsmißbrauch (siehe dazu § 4): Neben der Gewährung
subjektiver Rechte konstituiert sich die Rechtsordnung durch
Anerkennung objektiv-rechtlicher Institute. Unabhängig vom
persönlichen Verhalten der Vertragsparteien versagt sie einem
objektivem Fehlgebrauch des Instituts "Vertrag" die Anerkennung,
soweit der "Mißbrauch" reicht. Klarheit über das Vorliegen eines
"funktionswidrigen Gebrauchs" verschafft ein Blick auf die
verschiedenen Vertragsfunktionen. Bei der Auseinandersetzung mit
den unterschiedlichen Theorien folgt Habersack der Vertragslehre
Schmidt-Rimplers, in dessen Vorstellung des Vertrages als Mittel
zur Herstellung einer "richtigen" Regelung sowohl der Aspekt der
Selbstbestimmung wie der Gerechtigkeit einfließt. Ein solches
Vertändnis der Schmidt-Rimplerschen Vertragslehre verkennt jedoch
ihren ursprünglichen Bedeutungsgehalt. Bedauerlicherweise muß der
Autor deshalb ebenso zu denjenigen gezählt werden, die anhand einer
"Umdeutung" die Schmidt-Rimplersche Dogmatik in die heutige Zeit
hinüberretten wollten.
Bei der Anwendung auf den Fall eines zwischen den Vertragspartnern
bestehenden Kräftegleichgewichts erweist sich die fehlende oder nur
eingeschränkte Polarität der Interessen der Vertragspartner als das
Kriterium zur Vornahme der Inhaltskontrolle des Vertrages. Mit
andereren Worten: Ihm fehlt insoweit die Richtigkeitsgewähr, so daß
die Rechtsordnung kontrollierend einschreiten darf. Richtschnur dafür
bildet eine Interessenabwägung nach dem Vorbild des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, da nur so die Anliegen der
Vertragspartner mit den betroffenen Drittinteressen zu einem
möglichst effektiven Ausgleich gebracht werden können. Die
Tragfähigkeit einer derartigen Inhaltskontrolle weist der Autor
sowohl für die eingangs genannten Lastwirkungen wie für sonstige
Beeinträchtiungen von Drittpositionen nach (vgl. dazu §§ 6-9 der
Abhandlung).
Die Variante der gestörten Vertragsparität erläutert der Autor, wie
bereits angedeutet, am Beispiel der Inhaltskontrolle von AGB (vgl.
§§ 10-16). Der Nachweis seiner Ausgangsthese, daß entgegen der
einhelligen Auffassung von Rechtssprechung und Schrifttum
Drittinteressen im Rahmen des § 9 Abs. 1 AGBG Berücksichtigung
verdienen, soll mittels seines Konzepts von Institutsmißbrauch und
vertraglicher Richtigkeitsgewähr gelingen. Dazu muß er sich zunächst
um die Klärung des gesetzlichen Schutzzwecks bemühen. Auch wenn er
hier der herrschendne Meinung folgt (Theorie des Kundenschutzes vor
einseitig in Anspruch genommener Vertragsgestaltungsfreiheit), kommt
er nicht umhin, der gegenteiligen Position des Rezensenten implizit
Recht geben zu müssen. Der Auffassung von Rechtsprechung und Lehre
zur Nichtberücksichtigung von Drittinteressen zu ausgewählten
AGB-Problemen stellt er bürgerlich-rechtliche,
gesellschaftsrechtliche und kartellrechtiche Fallkonstellationen
gegenüber, in denen Drittschutz anerkannt wird. Daraus zieht der
Autor den Schluß, daß ein funktionierender Vertragsmechanismus
drittschützende Wirkung entfaltet. Darin sieht er das
Aufgreifkriterium für die im Fall typischerweise gestörter
Vertragsparität vorzunehmende Inhaltskontrolle. Bei der
Interessenabwägung sind dann auf seiten der unterlegenen
Vertragspartei die betroffenen Drittanliegen miteinzubeziehen,
unabhängig davon, ob die eine Seite rechtlich dazu verpflichtet war.
ein solch unmittelbarer Drittschutz ist nach Meinung des Autors mit
dem Regelungsziel des AGBG vereinbar so daß hier § 9 Abs. 1 AGBG
analog Anwendung finden darf. Abschließend führt er die Konsequenzen
seines Ergebnisses anhand des von ihm ausgewählten AGB-Materials
vor. Der propagierte Drittschutz führt in der Mehrzahl der Fälle
zu Abweichungen von der bisherigen Praxis zur Inhaltskontrolle von
AGB.
3. Dieser Punkt leitet über zur Abschlußbewertung der vorliegenden
Arbeit. Bei aller Konsequenz in der Gedankenführung stimmt doch die
damit einhergehende Zunahme des Drittschutzes bedenklich. Angesichts
der massenhaften Verwendung von AGB in der Praxis müßte in jedem Fall
ein Versagen des Vertragsmechanismus zu Lasten Drittbetroffener
festgestellt werden, dem durch eine Inhaltskontrolle entgegegewirkt
werden sollte. Denn nur so ließe sich die "Richtigkeitsgewähr" des
Vertrages wiederherstellen. Das bedingt die - aus Sicht des
Rezensenten verfehlte - Argumentation mit der Schmidt-Rimplerschen
Vertragslehre. Wie kann entgegen den Beteuerungen des Autors (vgl.
§ 1 V) dann noch der Grundsatz der Relativität des
Schuldverhältnisses gewahrt werden? Sie dient als Schutz der
rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung im Vertragsabschluß, was der
Autor selbst anerkennen muß (so auf S. 25 geschehen). Im Gefolge
seines Kontrollmodells liefe man jedoch Gefahr, dieses Prinzip in
sein Gegenteil zu verkehren, wenn aufgrund der These, daß "potentiell
jedes Rechtsgeschäft die Interessen Unbeteiligter beeinträchtigen
kann" (S. 171), jederzeit Drittschutz geboten wäre. Größeres
Interesse käme dann der Frage zu, wann die Parteien ausnahmsweise
ohne Rücksicht auf die Lage Dritter wirksam Verträge abschließen
könnten. Diese Einschränkung der Vertragsfreiheit läßt sich
jedenfalls nicht mit der vom Autor angedeuteten (unmittelbaren)
Drittwirkung von Grundrechten (im vorliegenden Fall des Art. 2 Abs.
2 Abs. 1 GG) rechtfertigen (S. 171). So darf eine verfassungsgemäße
Ausgestaltung des Privatrechts nicht verstanden werden. Zur
Konfliktbewältigung stehen hier die zivilrechtlichen Generalklauseln
wie die vom Autor untersuchten §§ 138 Abs. 1 BGB oder 9 Abs. 1 AGBG
zur Verfügung. Im Rahmen der erstgenannten Vorschrift gewähren die
Gerichte in ständiger Rechtsprechung schon entsprechenden
Drittschutz, auch wenn dies nur fallgruppenartig erfolgt. Bei § 9
Abs. 1 AGBG genügt die praktizierte mittelbare Berücksichtigung der
Anliegen von Gläubigern des Kunden, da andernfalls die "Politik des
Gesetzes" verfehlt würde. Demgegenüber präsentiert die vorliegende
Untersuchung ein allgemeines System zum Schutz beeinträchtigter
Drittanliegen. Diesen Vorteil hat der Leser mit dem - aufgrund des
verfehlten Vertragsansatzes - festzustellenden Nachteil der
tendenziellen Überbewertung des Drittschutzes abzuwägen.
Fazit: Aus Sicht des Rezensenten mindert dies den Gesamteindruck
des Buches nicht unerheblich. Fraglich bleibt demnach, ob das Modell
Habersacks zu Fortschritten im Drittschutz bei Rechtsprechung und
Lehre führen wird. |